|
Rupert Sheldrakes morphogenetisches Feld, Aristoteles
Seele
und Gernot Böhmes Atmosphäre
(erweiterter Auszug aus dem Buch
"Die Wissenschaft des Lebendigen")
pdf-Version dieser Seite
Das magnetische Feld
Eisenfeilspäne werden fein verteilt auf ein Blatt Papier gestreut,
unter dem sich ein Stabmagnet befindet. Es wird leicht auf das Papier
geklopft. Schlagartig verrutschen die Eisenfeilspänchen und bilden
eine aus Linien bestehende Struktur.
Wie aufwendig, ja unmöglich, wäre es ohne einen Magneten in mechanischer
Weise die einzelnen Eisenfeilspänchen mit einer Pinzette von Hand
zum Feldlinienbild zu ordnen! Wie schlagartig und mühelos ist dies
dagegen mit der den Raum ganzheitlich ergreifenden Kraft eines Magneten
möglich. Diese ganzheitlich im Raum wirkende Kraft nennt man ein
magnetisches Feld.
Das morphogenetische Feld
Ein lebender Süßwasserpolyp wird in zwei Teile zerschnitten. Schon
nach wenigen Tagen kann man beobachten, dass beide Teile sich zu
kleineren, aber vollständigen Süßwasserpolypen regeneriert haben.
Aus jedem Teil wird wieder ein ganzer Organismus. In jedem Teil
muss also die Gestaltungskraft des Ganzen immanent vorhanden sein.
Die zur Herstellung der regenerierten Süßwasserpolypen notwendige
Substanz stammt dabei aus der Körpersubstanz des halbierten ursprünglichen
Polypen. Diese wird umgestaltet, damit sich aus jedem Teil wieder
eine lebensfähige Ganzheit bilden kann. Das Ganzheitsprinzip wirkt
also über die Materie und die Gene hinaus. Eine solche ganzheitlich
wirkende Kraft im Lebendigen kann man ein gestaltgebendes oder morphogenetisches
Feld nennen.
Ganzheitskonzepte des Lebendigen
Schon Aristoteles war klar, dass das schaffende Lebendige nur durch
ein Ganzheitskonzept beschrieben werden kann. Zu seiner Zeit war
es für alle Naturphilosophen selbstverständlich, dass diese Ganzheit
(nach Aristoteles Entelechie) der Seele entspricht. Es ist die Seele,
die den physischen Organismus schafft, verwandelt und bewegt. Alles
Belebte unterscheidet sich dadurch vom Unbelebten, dass es beseelt
ist. Aristoteles fordert daher, dass ein Naturforscher zum Verständnis
eines Lebewesens natürlich über die Seele Bescheid wissen müsse.
Dabei hatte er ein anderes Seelenverständnis als es heute üblich
ist. Für ihn war auch eine Pflanze beseelt. Ihr kommt nach seiner
Vorstellung eine vegetative Seele zu, die für Ernährung, Wachstum
und Fortpflanzung zuständig ist. In Tier und Mensch ist neben dem
vegetativen Seelenanteil noch eine sensitive Seele wirksam, die
zu Wahrnehmungen, Empfindungen und Begierden befähigt. Nur dem Menschen
kommt zusätzlich eine rationale Seele zu, die Denken und Vernunft
ermöglicht und die Verbindung zum Geistigen darstellt. Diese Seelenanteile
muss der Naturforscher nach Aristoteles berücksichtigen um das Lebendige
zu verstehen.
Goethe war ein großer Verehrer Aristoteles' und kannte dessen Seelenlehre.
Da der Begriff der Seele sich durch christliche Prägung zu seiner
Zeit aber verändert hatte, sprach Goethe als Naturforscher beim
schaffenden Lebendigen nicht von Seele, sondern vom Typus und vom
Wesen. Wesen und Erscheinung zusammenzubringen, das war sein großes
Anliegen. In der Kunst sah er die Möglichkeit, die eigene Wahrnehmungsfähigkeit
und das naturwissenschaftliche Erkenntnisvermögen zu erweitern um
vom zerstückelnden Forschen und materialistisch-mechanistischen
Denken zu einer ganzheitlichen Betrachtung und einem organischen
Denken zu kommen. Durch eigene künstlerische Tätigkeit und Anschauung
schulte er sein Wahrnehmungsvermögen und die Fähigkeit sich in lebendige
Gestaltungen und Qualitäten einzufühlen ohne diese gleich durch
analytische Begriffe zu bestimmen. So wie beispielsweise die die
Flächen einer Plastik gestaltenden Kräfte nicht durch dinghafte
Begriffe, sondern nur durch eine künstlerische Wahrnehmung und Einfühlung
intuitiv erfasst werden können, so können auch die ein Lebewesen
gestaltenden Seelenkräfte nur durch eine quasi künstlerische Einfühlung
und Nachahmung innerlich nachempfunden und intuitiv erkannt werden.
Der französische Lebensphilosoph und Nobelpreisträger Henri Bergson
wies um 1900 daraufhin, dass man das schaffende Lebendige nicht
als eine Art Werkmeister missverstehen dürfe, der die komplexen
Vorgänge im Physischen eines Organismus auf komplizierte Weise steuere
und lenke. Jegliche Vorstellung von einem Werkmeister oder auch
von einem Bauplan entspringe nur unserem mechanistisch geprägten
Verstandesdenken, welches gewohnt sei ein Ganzes als aus Teilen
aufgebaut zu denken, so wie wir ein Haus, eine Maschine oder ein
Handy aus Teilen aufgebaut denken, was in diesen Fällen ja angemessen
ist. Das Schaffen im Lebendigen entspräche jedoch vielmehr einem
einfachen, ganzheitlichen Fließen und erscheine nur dem staunenden
Verstand als äußerst komplizierte Tätigkeit. Tatsächlich werde es
einem Organismus wohl nicht schwerer fallen ein Auge zu bilden als
ihm seine Hand zu heben.
Zu ähnlichen Überlegungen kamen wenig später die Biologen Hans
Driesch und Hans Spemann. Nach intensiven Forschungen zur Embryologie,
für welche Spemann den Nobelpreis erhielt, kamen beide zu der erfahrungsgesättigten
Überzeugung, dass das schaffende Lebendige am ehesten durch die
Annahme einer belebenden Seele im aristotelischen Sinne verstanden
werden könne. Spemann äußerte diese seine tiefe Überzeugung privat
ganz entschieden, öffentlich in seinen Büchern eher vorsichtig,
denn er wusste natürlich, welchen Widerspruch, ja welche Empörung
er bei seinen materialistisch gesinnten Forscherkollegen mit dem
Einführen einer Seele in die Biologie hervorrufen würde.
Morphogenetische Felder
Dem Problem der vehementen Ablehnung begegnete auch der englische
Biologe Rupert Sheldrake, als er in den 1970er Jahren sein Ganzheitskonzept
zur Erklärung des Lebendigen entwarf. Dabei sprach Sheldrake ganz
bewusst nicht von einer schaffenden Seele, sondern von einem gestaltenden,
morphogenetischen Feld, ähnlich einem Magnetfeld (seine Erweiterung
des Feldbegriffs auf morphische Felder soll hier weniger betrachtet
werden). Damit schloss er an eine Theorie des russischen Biologen
Alexander Gurwitsch aus dem Jahr 1922 an.
Sheldrake wie Gurwitsch rangen beide um die Frage nach der Realität
der morphogenetischen Felder. Gurwitsch kam nach jahrelangen Überlegungen
zu der Überzeugung, dass die im Lebendigen gestaltenden, morphogenetischen
Felder nicht wie physikalische Felder verstanden werden dürfen.
Als Perspektive formulierte er: »Der der Physik entlehnte Feldbegriff
wird demnach eine weitgehende und eigenartige Umgestaltung erfahren
dürfen.«2
Sheldrake geht für seine Hypothese der Formbildungsursachen einerseits
von der Annahme aus, dass »morphogenetische Felder physikalisch
real sind in dem Sinne, wie wir Gravitationsfelder, elektromagnetische
Felder und Quantenmateriefelder für physikalisch real nehmen.«3
Sie sind »Einflussgebiete in der Raum-Zeit, die in den und um die
Systeme herum lokalisiert sind.«4 Andererseits besagt der Kern seiner
Theorie, dass morphogenetische Felder eine Art kollektives Gedächtnis
der Gewohnheiten und Bildungsprinzipien eines Organismus darstellen.
Dieses Gedächtnis wirkt über den einzelnen Organismus hinaus. Jedes
einzelne Lebewesen hat nach Sheldrakes Theorie Anteil an den Raum
und Zeit überspannenden Feldern seiner Art und korrespondiert über
Resonanz mit ihnen. Damit wären die morphogenetischen Felder eher
geistiger Natur.
Obwohl Sheldrake zunächst den Begriff der Seele vermeidet, setzt
er gegen Ende der 1990er Jahre doch Seele und Feld gleich und bezieht
sich auf Aristoteles' Seelenlehre. 1996 veröffentlicht er ein Buch
mit dem deutschen Titel »Die Seele ist ein Feld«5 und stellt fest:
»Tatsächlich entspricht das morphogenetische Feld am ehesten dem,
was wir in der westlichen Tradition Seele nennen. Die Seele ist
das Prinzip, das lebende Wesen organisiert.[…] So könnte man sagen,
dass die Theorie der morphogenetischen Felder den Versuch darstellt,
die organisierende Seele hinter den Dingen zu sehen, so wie es Aristoteles
und nach ihm Thomas von Aquin taten – eine Seele, die der Natur
und allen lebenden Erscheinungen immanent ist.«6
Insgesamt bevorzugt Sheldrake jedoch weiterhin den Begriff des
Feldes und vermeidet den Begriff der Seele für die im Lebendigen
schaffende Ganzheit. Grundsätzlich ist er der Meinung, dass der
in der Physik etablierte Begriff des Feldes zeitgemäßer sei und
leichter Einzug in die Biologie halten könne als der Begriff der
Seele: »Ich glaube, der Begriff der Felder trägt dazu bei, einige
Aspekte des älteren Wortsinns von Seele zu erhellen oder gar zu
entmystifizieren. Heutzutage ist es für uns sehr schwer nachzuvollziehen,
was die Menschen einst mit dem Wort Seele verbanden.«7 Es bleibt
ihm dabei allerdings eine ungeklärte Frage, wie Felder wahrgenommen
werden und ins Bewusstsein treten können: »Andererseits gelten Felder,
wie sie gewöhnlich vom mechanistischen Verstand begriffen werden,
als völlig unbewusst. Die Aufgabe besteht somit darin, zu erkennen,
wie Felder zum Bewusstsein in Beziehung gesetzt werden können.«8
Damit berührt Sheldrake eine ganz entscheidende Frage.
Felder als Imitationen der Seele
Die Phänomene physikalischer Felder zeigen ohne Zweifel eine erstaunliche
Analogie zum schaffenden Lebendigen. Anders als lineare mechanische
Kräfte oder flächenhafte Druckkräfte wirken sie gleichzeitig im
ganzen Raum. Sie wirken als Ganzheit. Felder sind immateriell, können
aber auf Materielles einwirken. Materie kann sich schlagartig im
ganzen Feld strukturieren, wie dies bei Eisenfeilspänen im Magnetfeld
sichtbar wird. Physikalische Felder haben keine festen Grenzen und
sind doch eine reale Entität. Felder können nicht direkt, sondern
nur über ihre Wirkung auf Materie beispielsweise auf Eisenfeilspäne,
wahrgenommen werden. All diese Eigenschaften entsprechen genau dem,
was für ein lebendig Gestaltendes zu fordern wäre.
Und doch gibt es einen wesentlichen Unterschied zum Lebendigen:
Physikalische Felder können, wie Sheldrake ganz richtig ahnte, nicht
in der Weise zum Bewusstsein in Beziehung treten, wie dies bei lebendigen
Wesen der Fall sein kann. In physikalische Felder kann man sich
seelisch nicht einfühlen, man kann ihnen kein lebendiges inneres
Bild entgegenbringen, man kann sie nicht nachahmen, es kann keine
Verbindung mit ihrem Wesen stattfinden, jedenfalls nicht in der
Art, wie dies bei einem lebendigen Wesen der Fall sein kann. Sogar
in eine mechanische Apparatur, wie beispielsweise eine Dampfmaschine,
kann man sich mehr einfühlen als in ein Magnetfeld. Daher sind physikalische
Felder für uns nur schwer verständlich. Sie erregen zwar teilweise
in ihren Wirkungen Faszination und Erstaunen, können aber auch,
wie bei einem Eisen anziehenden Magneten, ein gewisses Befremden
auslösen, ähnlich wie bei einem Zaubertrick, den man nicht versteht.
Ein tiefes Verständnis von magnetischen Feldern erreichte wohl
der Engländer William Gilbert, der schon um 1600 meinte, dass das
Magnetfeld eine Seele imitiert.9 Physikalische Felder haben nämlich
viele Eigenschaften des Seelischen, das Entscheidende fehlt aber:
sie sind nicht lebendig. Sie sind vielleicht so ähnlich wie eine
Kunstblume, die zwar ganz so aussieht wie eine echte Blume, aber
eben nicht lebendig ist, oder wie eine Wachsfigur aus Madame Tussauds
Wachsfigurenkabinett. Auch mit solchen Wachsfiguren kann man sich
seelisch nicht verbinden und sie lösen eine gewisse Verwirrung aus.
Eine Analogie des Lebendigen zu den physikalischen Feldern ist
unbestreitbar. Genau genommen müsste man aber umgekehrt sagen, dass
physikalische Felder dem Lebendigen ähneln, denn das tatsächlich
Erfahrbare ist das Lebendige. Die Theorie der morphogenetischen
Felder durchbricht die engen Grenzen des mechanistischen Denkens
und stellt ein sinnvolles und zeitgemäßes Ganzheitskonzept dar.
Sie führt in die richtige Richtung, es bedarf allerdings noch der
von Gurwitsch geforderten »weitgehenden und eigenartigen Umgestaltung«
des physikalischen Feldbegriffs. Ansonsten verbleibt man zu sehr
bei einer abstrakten Theorie oder bei einer unbelebten Imitation
des Lebendigen, wie William Gilbert es formulierte.
Einfühlung in ein lebendiges Wesen
Stellen Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, folgende Situation
vor: Sie befinden sich auf einer Expedition im indischen Dschungel
und haben sich ein wenig von Ihrer Expeditionsgruppe entfernt. Plötzlich
taucht einige Meter vor Ihnen aus dem Dickicht ein etwa ein Meter
großes und knapp zwei Meter langes Tier auf. So ein Tier haben Sie
noch nie gesehen noch davon gehört (nehmen wir einfach einmal an).
Mit einem Blick erfassen Sie das Tier: seinen kraftvollen, geschmeidigen
Körper, das gelbbraune Fell mit der flackernden Musterung durch
schwarze Streifen, breite Tatzen mit scharfen, langen Krallen, ein
aggressives Fauchen, wobei im aufgerissenen, großen Maul mächtige
Eckzähne sichtbar werden, ein sehr wacher, aggressiver Blick aus
gelben Augen, der Sie fixiert, eine lauernde, sprungbereite, wache
Präsenz. Auch wenn Sie so ein Tier noch nie gesehen haben und überhaupt
nicht kennen, erfassen Sie doch schlagartig sein Wesen. Das ganze
Wesen des Tieres strahlt durch seine Erscheinung und sein Verhalten
eine äußerst aggressive und unberechenbare Energie aus.
Jeder Mensch würde einen Tiger im Dschungel intuitiv so erfassen,
auch wenn er nichts von einem Tiger wüsste. Niemand käme auf die
Idee hier ein ängstliches Fluchttier oder einen vegetarisch lebenden
Wiederkäuer vor sich zu haben. Das Einfühlen in die Erscheinung
des Tigers, in seine Bewegungen, seinen Blick und sein Fauchen würde
bei jedem Menschen die in etwa gleiche Intuition seines Wesens hervorrufen.
Dieses Beispiel zeigt, dass das Erfassen des Wesens oder der Qualitäten
eines Lebewesens zwar ein subjektiver Erkenntnisakt ist, der mit
dem eigenen Gefühlsbereich zusammenhängt, der aber doch eine allgemeine
Gültigkeit besitzt. Das intuitive Erkennen der Qualitäten oder des
Wesens eines Lebewesens hat also eine subjektive Allgemeingültigkeit,
wie Kant es ausgedrückte. Damit ist eine solche intuitive Erkenntnis
durchaus wissenschaftlich verwendbar und kommunizierbar. Descartes
Aussage, dass nur das Messbare, Zählbare und Wägbare wissenschaftlich
erforschbar sei, stellt somit eine falsche wissenschaftliche Beschränkung
dar. Auch Qualitäten und Wesenhaftes werden von verschiedenen Menschen
ähnlich wahrgenommen und können damit als wissenschaftlich relevant
angesehen werden.
Hat man das Wesen beispielsweise eines Tigers erfasst, so könnte
man sich mit dieser Erkenntnis auch forschend seinem Skelett, seiner
Muskulatur, seinem Herz-Kreislaufsystem, seinem Verdauungssystem
zuwenden und würde feststellen, dass alle seine körperlichen Gestaltungen
und Funktionen zu seinem Wesen passen.10 Seine ganze innere und
äußere Gestaltung, seine Erscheinung, sein Verhalten, ja auch die
von ihm aufgesuchte Umgebung, dies alles ist Ausdruck seines Wesens.
Dieses Wesen kann man durch Einfühlung und in gewisser Weise durch
Nachahmung und innerliches Nachschaffen intuitiv erfassen, wie es
schon Goethe praktizierte. Auf diese Weise lässt sich Wesen und
Erscheinung zusammenbringen.
Das Wesenhafte eines Lebewesens, welches seine ganzheitliche, lebendige
Gestaltung bewirkt, kennzeichnet nach Aristoteles seine Seele. Dabei
umfasst die lebendige Seele, anders als ein morphogenetisches Feld,
nicht nur die Form und Gestaltung eines Lebewesens, sondern auch
seine Dynamik, sein kreatives Verhalten und seine kreative Entwicklung
in Abhängigkeit von der Umgebung. Wollte man hier mit dem eher statischen
Begriff des Feldes arbeiten, wie man ihn aus der Physik her kennt,
so würde man aus dem konkreten Lebendigen herausfallen und nur zu
leicht in eine verallgemeinernde Abstraktion gehen. Das Konzept
der morphogenetischen Felder hätte dann seine Berechtigung als abstrakte,
wissenschaftliche Theorie. Um allerdings im Lebendigen zu einem
erlebbaren Feld zu kommen, müsste, wie Gurwitsch es gefordert hat,
eine fundamentale Umformung des Feldbegriffs ins Lebendige stattfinden.
Erst dann könnte man behaupten, wie Sheldrake es mit seinem Buchtitel
tat, »Die Seele ist ein Feld«.
Ist denn solch eine Verlebendigung des Feldbegriffs überhaupt möglich?
- Tatsächlich hat es in der Vergangenheit bereits Ansätze gegeben,
die genutzt werden können um den Feldbegriff ins Lebendige und ins
seelisch Erlebbare zu führen.
Spären, Atmosphären und Felder
Dem Begriff des Feldes ging der Begriff der Wirksphäre, der sphaera
activitatis, voraus. Sphären hatten zunächst durchaus eine Verbindung
zum seelischen Erleben des Menschen. Ähnlich wie Atmosphären, die
wir auch heute noch beispielsweise in einigen Kirchen, bei einem
Sonnenuntergang oder in Gesprächen spüren können, hatten auch die
Sphären, beispielsweise die Planetensphären, durchaus eine Verbindung
zum Erleben und zum Schicksal des Menschen. Sphären wurden zunächst
als Einflussbereiche geistiger Mächte verstanden. Später wurde auch
der Wirkungsbereich eines Magneten als sphaera activitatis bezeichnet.
Der Begriff der Atmosphäre kam explizit im 17. Jahrhundert auf,
wenngleich die terrestrische Lufthülle schon von Aristoteles ausführlich
als Ausdünstungen von Erde und Wasser beschrieben wurde. Die geistige
Sphäre eines Planeten wurde nun sozusagen materieller und sinnlicher
als Dunst (gr. atmos) –kugel (gr. sphäre) eines Planeten angesehen.
Wenig später wurde Atmosphäre auch als geruchlich erfahrbare Ausdünstung
(Dunstkreis) oder im übertragenen Sinne als ausgestrahlte Qualitäten
einer Person, eines Objekts oder einer Umgebung verstanden. Damit
wurden Atmosphären gefühlsmäßig erlebbar.
Atmosphären spürt man besonders beim ersten Eintreten in eine
neue Umgebung, in einen neuen Raum. Das kann eine offene Landschaft
oder ein geschlossener Raum sein. So erlebt man beispielsweise die
Weite, das Rauschen des Meeres, die Kargheit, die Stille der Wüste
oder die Undurchdringlichkeit, die geheimnisvolle Geräuschkulisse
des Dschungels als ganz bestimmte Atmosphären. Beim ersten Eintreten
in eine fremde Wohnung spürt man unmittelbar eine beispielsweise
warm geborgene, kühl nüchterne oder wild chaotische Atmosphäre.
Auch im sozialen Zusammenhang kann man beispielsweise eine heitere,
beklommene oder aggressive Stimmung oder Atmosphäre spüren. Dies
alles ist uns sehr vertraut, auch wenn wir es oft eher unbewusst
wahrnehmen. Wir wissen auch, dass wir häufig selber Einfluss auf
die gerade vorhandene Atmosphäre nehmen können. Wir können einen
Garten gestalten, eine Wohnung neu möblieren oder eine beklemmende
Gesprächsatmosphäre versuchen aufzulockern.
Das Erleben von Atmosphären ist in den letzten Jahren erstaunlicherweise
sogar Thema akademischer Forschung geworden. Auf der Grundlage der
in den 1960er Jahren formulierten Neuen Phänomenologie entwickelte
besonders der Darmstädter Philosophieprofessor Gernot Böhme eine
neue Ästhetik der Atmosphären. Er beschreibt ganz im Sinne des französischen
Philosophen Henri Bergson, wie sich beim Erspüren von Atmosphären
die äußere Wahrnehmung mit einem inneren Gefühl verbindet. Die Atmosphäre
oder Stimmung ist also nicht allein in den äußeren Gegebenheiten
zu finden und auch nicht ohne diese nur in einem inneren Gefühl.
Erst beides zusammen macht eine Atmosphäre aus. Dabei ist es gewöhnlich
schwierig, eine Atmosphäre mit Worten zu beschreiben. Meistens verschwindet
das Erleben einer Atmosphäre, wenn man versucht sie mit Begriffen
zu erfassen. Eher kann man sie künstlerisch zum Beispiel in einem
Bild oder einem Gedicht darstellen. Böhme beschreibt sie folgendermaßen:
»Was gespürt wird, ist eine unbestimmt räumlich ergossene Gefühlsqualität.«
Eine solche räumlich ergossene Gefühlsqualität könnte man vielleicht
ein atmosphärisches Feld nennen.
Nicht nur Umgebungsqualitäten spricht Böhme eine Atmosphäre zu.
Auch die Qualität einzelner Objekte interpretiert er als Summe von
ausgestrahlten Eigenschaften wie Form, Farbe, Geruch oder Klang,
die insgesamt eine bestimmte Atmosphäre des Objekts hervorrufen.
Solche Qualitäten beschreibt er mit dem Begriff Anmutung. Man könnte
vielleicht auch von einem Anmutungsfeld sprechen.
Morphogenetische Felder als räumlich ergossene Willensqualität
Mit dem Wahrnehmen von Atmosphären oder Anmutungsqualitäten praktiziert
man eine künstlerische, einfühlsame Erkenntnishaltung, die auch
dem Lebendigen gegenüber erforderlich ist. Auch das Abspüren und
Erahnen einer Wesensqualität im Lebendigen bedarf der Verbindung
von äußerlicher Wahrnehmung und innerer Empfindung. Wird die Bildung
einer bestimmten Atmosphäre zum Beispiel in einer Gemeinschaft zu
einer Gewohnheit, so spricht man durchaus davon, dass dort eine
bestimmte Atmosphäre lebt und schreibt damit auch einer Atmosphäre
eine gewisse Belebtheit zu.
Lebendige morphogenetische Felder müssten genau genommen nicht
nur dem Gefühlsbereich, sondern vor allem dem Willensbereich zugeordnet
werden, denn das Lebendige ist stets ein Tätiges, ein wesensgemäß,
kreativ Schaffendes. Wenn Böhme eine Atmosphäre eine räumlich ergossene
Gefühlsqualität nennt, so müsste man ein lebendiges morphogenetisches
Feld als räumlich ergossene Willensqualität bezeichnen. Dies hat
mit dem physikalischen Feldbegriff allerdings genauso wenig zu tun
wie das freie Handeln des Menschen mit dem mechanischen Ablauf einer
Maschine.
Wenn auch das ehemalige Erleben von Sphären bei der Entwicklung
des Feldbegriffs zu Anfang im Hintergrund stand, so hat sich der
physikalische Feldbegriff doch im Wesentlichen aus physikalischen
Beobachtungen heraus entwickelt, die mechanistisch interpretiert
wurden. Die Feldtheorien der modernen Physik haben mit dem Erleben
von Sphären oder Atmosphären nichts mehr zu tun, was spätestens
seit James Clerk Maxwell deutlich wurde. Seine abstrakten Feldgleichungen
können das Lebendige nicht beschreiben, was der russische Embryologe
und Begründer der morphogenetischen Feldtheorie Gurwitsch am Ende
auch einsehen musste. Für eine Verlebendigung des Feldbegriffs darf
man also nicht allein vom physikalischen Feld ausgehen. Werden Felder
dagegen ähnlich wie Sphären oder Atmosphären innerlich als geistige
oder seelische Realitäten erlebt, so können sie vielleicht an eine
Lebenswirklichkeit heranführen.
Neben Gernot Böhmes Ästhetik der Atmosphären könnten möglicherweise
auch Lili Fischers ästhetische Feldforschung oder Bert Hellingers
als Feldwirkung verstandene Familienaufstellung helfen, zu einem
lebendigen Verständnis der morphogenetischen Felder zu kommen. Darauf
soll an dieser Stelle allerdings nicht weiter eingegangen werden.
Seele oder Feld als lebendig Schaffendes?
Seele, Entelechie, Bildungstrieb, Feld – viele verschiedene Begriffe
wurden seit der Antike geprägt um ein schaffendes Lebensprinzip
zu beschreiben. Goethe und Bergson warnten davor, sich zu sehr auf
eine bestimmte Begrifflichkeit zu fixieren und zu meinen, damit
die Frage nach dem Lebendigen gelöst zu haben. Damit genüge man
nur den Bedürfnissen des Verstandes, der nicht anders könne, als
ein Lebensprinzip als Werkmeister oder Bauplan anzusehen. So ein
Bauplan werde dann kausal oder finalistisch interpretiert und lasse
keine Freiheit für die Kreativität des Lebendigen. Tatsächlich sei
das Lebendige aber nur über die Gegenwärtigkeit, oder nach Bergson
die Dauer seines Wesens und über seinen kreativen Umgang mit den
Gegebenheiten der Umwelt intuitiv zu erfassen. Begrifflichkeiten
und Konzepte wirkten einem solchen intuitiven Erfassen nur entgegen.
Goethes Maxime lautete daher: » Man suche nur nichts hinter den
Phänomenen, sie selbst sind die Lehre.«11
Man kann natürlich ein wissenschaftliches Konzept zum Lebensprinzip
dennoch für notwendig und hilfreich erachten um besser an die gängige
Wissenschaft anschließen zu können. Die Frage wäre dann, ob ein
solches wissenschaftliches Konzept sinnvoller auf dem Begriff des
Feldes oder auf dem der Seele aufzubauen wäre.
Felder erfüllen, wie gezeigt, wesentliche Kriterien eines Lebensprinzips.
Problematisch ist jedoch, dabei zu sehr von unbelebten physikalischen
Feldern auszugehen und damit eine Theorie des Lebendigen auf etwas
Unbelebtem aufbauen zu wollen. Auf diese Weise kann man vielleicht
allgemein die Morphogenese eines Organismus über sich verfestigende
Gewohnheiten als gestaltendes Feld erklären, das Wesen und die stetige
Kreativität eines individuellen, lebendigen Organismus' sind damit
jedoch nicht zu erfassen.
Die Seele ist dagegen geradezu der Inbegriff des Individuellen
und des Lebendigen. Sie ist durch das Wesen eines Lebewesens charakterisiert
und durch individuelle Kreativität, Veränderung und Entwicklung
gekennzeichnet. Damit ist sie prädestiniert das schaffende Lebendige
erfahrbar und als Subjekt verstehbar zu machen. Hier besteht die
revolutionäre Herausforderung allerdings darin, die Wirksamkeit
einer Seele in eine materialistisch-mechanistisch geprägte Naturwissenschaft
einzuführen.
Als wissenschaftliche Theorie kann das Konzept der morphogenetischen
Felder, trotz aller Ablehnung durch die orthodoxe Wissenschaft,
vermutlich leichter an die gängige Naturwissenschaft anschließen
als die Idee einer gestaltenden Seele. Für ein erlebendes Verständnis
des lebendig Schaffenden wäre es dagegen sinnvoller, die aristotelische
Seelenlehre aufzugreifen, mit der künstlerisch-wissenschaftlichen
Methodik Goethes zu verbinden und damit das Lebendige praktisch
zu erforschen.
Im Grunde genommen ist es auch Rupert Sheldrakes Anliegen die Natur
wieder im aristotelischen Sinne zu beseelen und das Lebendige nach
Goethes wissenschaftlicher Methodik zu erfahren. Vielfach bezieht
er sich auf Aristoteles' Seelenlehre und setzt dessen vegetative
Seele mit seinen morphogenetischen Feldern gleich.12 In seiner Biografie
beschreibt er, wie gerade Goethes Schriften zur Botanik und die
darin aufgezeigte ganzheitliche Wissenschaft ihm den ersten Impuls
zur Entwicklung seines Konzeptes der morphogenetischen Felder gaben:
Die Möglichkeit einer »ganzheitlichen Wissenschaft, die das unmittelbare
Erleben und Verstehen in sich vereinte […] versetzte mich in große
Erregung«.13 Von dem Moment an war er Feuer und Flamme, wie er sagt,
für die Aussicht auf eine solche Wissenschaft. Zwar hat Sheldrake
sich in der Folgezeit von diesem Ursprungsimpuls des unmittelbaren
Erlebens und Verstehens in Richtung einer abstrakten wissenschaftlichen
Theorie fortbewegt, im Grunde prägt ihn aber die tiefe Überzeugung:
»Die Seele ist das belebende Prinzip, das Prinzip, das Lebendes
lebendig macht«.14
Fußnoten
1 Vgl. Merker, Werner: Die Wissenschaft des Lebendigen, Crotona Verlag, Amerang 2017.
2 Gurwitsch, Alexander: Über den Begriff des Embryonalen Feldes,
in: W. Roux’ Archiv für Entwicklungsmechanik Sl, 1922, S. 393.
3 Sheldrake, Rupert: Das Gedächtnis der Natur, München 1988, S.
142.
4 Sheldrake, Rupert: Einführung, in: H.-P. Dürr (Hrsg.), Sheldrake
in der Diskussion, Bern, München, Wien 1997, S. 18.
5 Sheldrake, Rupert u. Fox, Matthew: Die Seele ist ein Feld, München
2001.
6 Rupert Sheldrake im Interview, Natur&Heilen, Heft 3/März 2002.
7 Sheldrake, Rupert u. Fox, Matthew: Die Seele ist ein Feld, München
2001, S. 44.
8 Ebenda, S.44.
9 Gilbert, William: de Magnete (Original 1600), London 1900, Buch
5, Kap. 12, p. 208.
10 Vgl. Kranich, Ernst-Michael: Wesensbilder der Tiere, Stuttgart,
1995.
11 Goethe, Johann Wolfgang von: Sprüche in Prosa 165, Maximen und
Reflexionen 488.
12 Sheldrake, Rupert u. Fox, Matthew: Die Seele ist ein Feld, München
2001, S. 44, S. 67.
13 Ebenda, S. 16.
14 Ebenda, S. 81.
|
|